Schuberts „Winterreise“ ist ein Hauptwerk des Liedgesangs, ja ein Hauptwerk der ganzen Musikgeschichte. Schubert fand in den Gedichten Wilhelm Müllers Texte, die ihn spontan ansprachen – in seiner Melancholie, in seinem Aufbegehren gegen das politische System der Restauration und  in seiner Todessehnsucht. Bereits die „Schöne Müllerin“ schildert in zwanzig Stationen die Geschichte eines von seiner Geliebten verschmähten Müllerjungen, seine Hoffnungen, sein Aufbegehren und schließlich seinen Freitod im Bach. Die Winterreise zeigt allgemeiner den existentiellen  Schmerz des Menschen. Der Wanderer lässt alles zurück, Liebe, Geborgenheit, und zieht bar jeder Hoffnung hinaus in die Winternacht, wo sich seine Spur verliert. „Ein Kreis schauerlicher Lieder“ nannte Schubert dieses Werk.

Der große Dirigent und Komponist Hans Zender (*1936), der die Winterreise eine „Ikone der Musikgeschichte“ nennt, schrieb unter dem Aspekt, daß letztlich jede Interpretation eine Bearbeitung darstellt, eine „komponierte Interpretation“ dieser Winterreise. Dabei verteilt er den Klavierpart auf ein Ensemble von 24 Musikern (8 Holzbläser, Horn, Trompete, Posaune, 4 Schlagzeuger, Akkordeon, Gitarre, Harfe und 6 Streicher). An der Singstimme ändert er fast nichts. Es handelt sich dabei aber nicht um bloße Orchestrierung, sondern Zender entwickelt Dazukomponiertes aus den Keimzellen von Text und Musik. Durch die neue Farbigkeit der zum Teil extremen Instrumentation wächst diesen wohlbekannten Liedern eine ganz moderne Brisanz zu.  Die Hörer Schuberts waren erschrocken vor diesen befremdlichen Liedern. Wir heute haben durch alles, was seit Schubert komponiert wurde, die Sensibilität für diese Schrecken verloren. „Wird es möglich sein, die ästhetische Routine unserer Klassiker-Rezeption, welche solche Erlebnisse fast unmöglich gemacht hat , zu durchbrechen, um diese  existentielle Wucht des Originals neu zu erleben?“ (Zender). Erst Mitte des 20. Jahrhunderts fand die Winterreise im Konzertleben die Stellung, die ihr gebührt. Dietrich Fischer-Dieskau und Christoph Prégardien gehören dabei zu den wegweisenden Interpreten.

Wir haben die große Freude, Christoph Prégardien am 17. November 2013 in Weiden in der Zender-Fassung der Winterreise hören zu dürfen. Nach seiner Zeit als Operntenor wirkt er jetzt hauptsächlich als Lied- und Oratoriensänger, seine Aufzeichnungen wurden mit bedeutenden Preisen bedacht. Seit 2004 ist er Professor an der Musikhochschule in Köln. Nach einer preisgekrönten Aufnahme der Winterreise mit Andreas Steier am Hammerflügel nahm er auch die Zenderfassung mit dem Klangforum Wien auf: eine fabelhafte CD!!! (Inzwischen bereitet Prégardien seine vierte Aufnahme vor, diesmal mit dem Pianisten Michael Gees.) In Weiden übernimmt das ensemble KONTRASTE den Instrumentalpart. Seit 1990 widmet es sich der Ensemblemusik in unterschiedlichsten Besetzungen. Medienpartner sind der BR und ZDF/arte. Kammermusik, Schauspiel, Puppentheater, Literatur, Stummfilmmusik und Kammeroper führten das eK in europäische Metropolen wie Paris, Wien, Madrid, Lissabon, Warschau, Athen, München, Berlin, Schwetzingen. Dirigent ist der junge, sympathische, deutsch-ghanesische Kevin John Edusei. Eine langjährige Zusammenarbeit verbindet ihn mit dem eK . Im Jahr 2008 machte er mit dem ersten Preis beim Dimitri Mitropoulos Dirigentenwettbewerb in Athen auf sich aufmerksam. Einladungen folgten nach Berlin, Den Haag, Salzburg und Frankfurt. Ab 2014 wird er der neue Chefdirigent der Münchner Symphoniker sein.

Dr. Harald Roth

So 17.11.2013 20.00 Uhr

Ensemble Kontraste

Christoph Prégardien Tenor

Kevin John Edusei Dirigent

  • Hans Zender
    Schuberts "Winterreise" - eine komponierte Interpretation

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